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Channel: Fräulein Rucksack
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Meine Weihnachtsgeschichte.

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Weihnachtsgeschichte.

Dass meine Weihnachtsgeschichte sich ausgerechnet bei hochsommerlichen Temperaturen abspielt hätte ich mir auch niemals träumen lassen. Ich liebe Kälte, Weiß und Eis. Aber vor sieben Jahren, da zog es mich in die Wärme Südamerikas. Und heute kam mir diese ganz andere Adventszeit von damals in den Sinn.

Ich war hier und da in Europa gewesen und als mir nach etwas Neuem, etwas anderem war, da landete ich in Südamerika. Ohne Ziel und ohne Sprachkenntnisse. Einfach los. Ich wollte weg und dass ich Weihnachten weit fort verbringen würde kam mir gerade recht. Ich mochte es nicht dass Weihnachten gefeiert wurde ohne an Jesus zu glauben. Ich fand Feiern ohne Glauben falsch und verlogen und entzog mich dem gerne.

Zunächst fand ich mich in Santiago de Chile wieder. Wo es mir gar nicht gefiel und ich meine naiven Reisepläne schon fast über den Haufen warf. Ich fühlte mich unsicher, bedroht, unwohl. Zum Glück nur in der Hauptstadt. Überall sonst im Land war ich so herzlich aufgenommen, willkommen, beschenkt.

Und so wanderte, trampte, tingelte ich irgendwie meines Weges. Ich hatte keine Pläne und muss gestehen dass ich wenig Ahnung von dem Land hatte, in das ich mich verlor. Im Norden Wüste, im Süden Eis. Im Grunde musste ich auch nicht mehr wissen. Und entschied mich erstmal für Süden.

An einem schönen sonnigen Tag wanderte ich also mit meinem großen Rucksack auf den Schultern am schönen Río Biobío entlang und hielt Ausschau nach einer Badestelle. Der Fluss erschien mir etwas wild und ich wollte ein ruhigeres Eckchen finden. Doch dann hörte ich Lautsprecherstimmen. Und entgegen meiner Natur, zog mich die Neugierde dahin. Ich mein, gewöhnlich würde ich Menschenansammlungen und Lärmveranstaltungen meiden. Aber nicht dort draussen in der Weite. Ich wollte nur mal eben nachsehen, was es zu sehen gab und gelangte zu einer Arena, mit hohen Bretterwänden. Da kamen die Durchsagen und Rufe her. Aber als ich mich näherte kam schon ein junger Mann entgegen um zu fragen, wass ich denn wolle. "Nur mal gucken." Es handele sich aber um eine private Veranstaltung. "Oh schade, ich habe noch nie beim Rodeo zugesehen." Das konnte ein Rodeofreund wohl nicht stehen lassen. Oder er fand mich nett. Oder wollte mich mal von seiner Sippe abchecken lassen. Ich weiß es nicht. Er erlaubte mir fünf Minuten. Und ehe er sich versah saß ich inmitten seiner Verwandtschaft. Die mich neugierig befragte. Ungläubig, dass ich da alleine vor mich hinreiste. Und hellaufbegeistert mir das Rodeo zu erklären. Wo coole Kerle zu Pferd ein paar Rindern hinterherjagten. Und so wurde aus den fünf Minuten der Rest des Nachmittags. Und nach dem der letzte Stier gejagt war wollte man mich dann nicht mehr gehen lassen. Es wurde gegrillt und getanzt und die Nacht brach herein. Es war zwei Tage vor Weihnachten und als die Großmutter des Familienclans, Abuela Julia, erfuhr, dass ich kein Ziel hatte für Weihnachten und irgendwo mein Zelt aufschlagen wollte befahl sie ihren Enkelkindern, die etwa in meinem Alter waren, mich nicht gehen zu lassen. Ich sollte Weihnachten bei ihr verbringen.

Von der ganzen Familie sprach sie an dem Tag am Wenigsten, ich glaube kein Wort, mit mir. Aber ich mochte sie sofort am meisten. Und wollte gerne gehorchen.

Aber erstmal ging es in die Disco. Mit den jungen Huasos (so nennen sich die chilenischen Cowboys) in ihrer Tracht. Auf dem Kopf die geraden Hüte mit der breiten Krempe, darunter der bunt gewebte Poncho... lediglich die Sporen nahmen sie von ihren Cowboystiefeln ab, zum Tanzen! Zum Tanzen mit mir Gringa. Ich hab von Natur aus zwei linke Füße und mein Gewackel war Welten vom Latinohüftschwung entfernt. Aber wir hatten Spaß.

Am nächsten Tag mussten die jungen Kerle früh los: Ein Stier sollte noch geschlachtet werden. Natürlich Männersache. Ich blieb mit den Frauen der Familie zu Hause und man zeigte mir noch das Städchen, wir pflückten Kräuter und redeten viel. Ich hätte so gerne bei den Alltäglichkeiten mitangepackt, aber natürlich sollte ich keinen Finger rühren. Sondern viele neugierige Fragen beantworten, mich zum Abuelo setzen, die Familie kennenlernen. Und versprechen noch zu bleiben.

Am Weihnachtstag dann holten wir Enkelkinder, Abuela Julia nannte mich tatsächlich schon so, gemeinsam das geplante Bad nach. Eiskalt war der Fluß. Und so ungewöhnlich war für mich dieser Morgen vor dem Heiligen Abend. In Abuelas Haus bereiteten die Frauen des Hauses das Abendessen vor. Und mittendrin in der Küche? Ein riesen Fleischberg. Das geschlachtete Tier, eine Weihnachtstradition. Es würde in den nächsten Tagen unter den Familien aufgeteilt werden. So würden alle reichlich versorgt ins neue Jahr starten. Eine glückliche Aussicht.

Ich muss jetzt noch Kichern wenn ich mir Vorstelle, wie eine deutsche Hausfrau um einen Fleischberg herum seelenruhig das Weihnachtsmahl zubereiten würde. Es war eben anders da. Es gab keine Weihnachtsdekoration, keine Winterlichkeit. Es gab keine Plätzchen, Lebkuchen oder andere Naschereien. Und trotzdem merkte man, es war kurz vor Weihnachten. Etwas Besonderes würde passieren. Es wurde vorbereitet und Tradition zelebriert. Und vor allem: Die ganze Familie kam zusammen. Alle Kinder und Enkelkinder, die quer durchs Land verstreut lebten, arbeiteten, studierten. Abuela Julia hatte alle um sich, die ihr so wichtig waren. Und noch eine mehr.

Mittags gingen manche in die Kirche und am Abend saßen alle um eine große Tafel. Es gab leckeres Essen. Besonders, aber nicht zu üppig. Nicht übertrieben. Wertvoll. Es wurde einfach der Abend miteinander verbracht. Das war das Wichtigste. Beisammensein. Aneinander freuen. Und Abuela Julia strahlen zu sehen. Strahlen aus tiefsten Herzen. Es gab keine Geschenke (ausser dem Stier). Nichts weiter war nötig für diesen echten Abend.

In der Nacht wollte die Jugend wieder losziehn zum Tanzen. Aber bei all der Festlichkeit war mir gar nicht danach. Ich wollte mich zurückziehen. Und an meine Familie denken. Weil ich jetzt das Weihnachten verstand, was ich boykottieren wollte. Auch wenn es schade ist, dass nicht überall Jesus im Mittelpunkt des Festes steht. Die die trotzdem Weihnachten feierten, die feierten Familie!


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